Donnerstag, 13. Januar 2011

Hamburg Marathon 2010

Was habe ich trainiert! Die ganze Wintersaison über Eisschollen, bei minus 10 Grad, durch Matsch und die letzten 8 Wochen jeden Sonntag einen langen Lauf. Und da ich ja nicht die Schnellste bin, kostet mich ein langer Lauf immer mindestens 4 Stunden meines Lebens. Diverse Laufeinheiten habe ich auch mit meinem Lieblingskollegen Thomas absolviert. Auf Dienstreisen, in fremden Städten sind wir morgens im Dunkeln durch manch fremden Park gestolpert. Gott sei Dank hat der Mann einen guten Orientierungssinn. Ob ich allein auch immer zurück gefunden hätte darf stark bezweifelt werden.

Wir Wahnsinnigen verabreden uns Sonntags morgens, 6:30 Uhr und rennen durch irgendeinen blöden Wald. Während andere gemütlich die Woche ausklingen lassen und den Schlaf der Gerechten schlafen, renne ich leise wimmernd und schimpfend durch die Taiga. Aber seltsamerweise erscheint es mir schön - sobald es vorbei ist. Ich glühe wie Jean D'Arc, wenn ich einen weiteren Schneesturm bezwungen habe. Mit Thomas zu laufen ist angenehm. Ich kann ihn gut neben mir ertragen. Das ist wie auf Arbeit. Er quatscht nicht und vor allem: Er meckert nicht mit mir!

Aber jetzt ist Marathon-Tag. Ich bin wieder so aufgeregt , dass ich schon eine Woche vor dem Termin mit Fieber und einem Magen-Darm-Infarkt darnieder liege. Ab den Stichtag, an dem alle anderen Marathonis Kohlehydrate in sich hinein stopfen (heavynudeloverdoseday), behalte ich nix bei mir. Erst ab Donnerstag gibts das erste Mal wieder feste Nahrung und am Sonntag starte ich tatsächlich.

Minna und Thomas kommen morgens zu mir. Ich habe mein gesamtes Rennhasen-Equippment am Tag vorher schon zurecht gelegt. Den Zeitmesser an die Schuhe gefrickelt, die Startnummer ans Trikot und die Gels rausgelegt. Und dann fängt der gallopierende Wahnsinn noch in meiner Bude an. Minna fragt, ob ich meine Daten auf die Rückseite meiner Startnummer geschrieben habe. Was für Daten und wieso? Ich laufe doch gar nicht alleine, gehe also nicht verloren und Thomas und Minna sind doch die ganze Zeit bei mir! Aber meine Freundin ist überzeugt, es gäbe nichts wichtigeres, als dieses Datenblatt auszufüllen. Na gut. Soll sie. Sie ist halt Mutter und kann aus ihrer Haut nicht raus, denke ich – und wer weiß, wofür es gut ist.. Die kleine Evelyn hat sich verlaufen und sucht ihre Mutti ! Die kleine Evelyn kann am Besenwagen abgeholt werden ...

Die U Bahn ist völlig leer. Ich frage nach, ob wir wirklich den richtigen Tag erwischt haben. Letztes Jahr standen wir dicht gedrängt in der U-Bahn. In diesem Jahr sind wir so spät dran, dass alle schon am Start sind! Am Heiligengeistfeld bleibt nur noch Zeit fürs Klo.

Und da fällt es mir auf: Meine Startnummer ist weg! Sie liegt in Thomas Wäschesack! Na, so ein Dreck. Ich werde nervös und suche Thomas. Nur noch 5 Minuten Zeit. Minna hält mich fest und schreit mich an, wie man ein kleines Kind vielleicht anschreit (wenn man anschreit). Ich soll mich jetzt endlich zusammenreißen. ...was geht hier denn ab? Thomas kommt und hat eine Startnummer für mich. Noch mal ganz schnell aufs Plastik-Klo.

Minna und Thomas entscheiden, unseren Startblock nicht weiter zu suchen, sondern von der Seite einzusteigen. Nun starte ich mit Läufern, die eine Zielzeit von 3:30 anpeilen. Das ist Wahnsinn ! Ich fühle mich schlecht.

Ich laufe im falschen Startblock los und bin für diese Athleten natürlich eine Leistungsbremse. Das ist unsportlich. Tut mir leid. Und ich bin wieder zu schnell. 7,00 Minuten auf den Kilometer. Die Vorgabe des Trainers waren 8,20 Minuten. Aber es läuft zunächst trotzdem ganz gut. Minna bemuttert mich. Ihr Mann folgt uns per Fahrrad und hat unsere Verpflegung dabei. Minna duppt mich wieder an, weil sie zu dicht aufläuft. Das kann ich gar nicht haben ! Ich bin genervt und zu heiß ist es auch. Als wir die Alster erreichen, läuft Thomas neben mir her. Ich atme leicht und tief durch. Das ist fast angenehm ...

Höhe Zimmerstraße schließt Hobbypsychologin Minna wieder auf und macht mich mit dem folgenden Satz völlig wuschig: 'wir kommen jetzt gleich an die Stelle an der Du das letzte Mal aussteigen musstest. Da macht Dein Körper gleich komische Sachen mit Dir.'

Was soll dass den? Soll ich mich jetzt schon mal drauf freuen ? Eine psychologische Glanzleistung. Ich weiß, Du meinst es gut - Empathie?

Am Kilometer 23 jubelt uns Thomas Familie zu. Sein kleiner Sohn ist ganz aufgeregt und seine Frau hat sich trotz Schwangerschaft mit Bus und Bahn auf den Weg gemacht. Danke Ihr Lieben!

Kilometer 25 jubelt meine Familie und die Freunde. Wir sind zwar schon wieder ziemlich die letzten, aber noch guter Dinge. Alles wird gut…

Und dann geht es los: Ab Kilometer 26 Muskelkrämpfe im rechten Oberschenkel. Tut das weh, verdammt ! Gelockert, massiert und weitergelaufen. Aber die Krämpfe kommen immer wieder. Nur nicht nachlassen jetzt. City Nord wird die NDR-Bühne bereits abgebaut, als wir gerade vorbei kommen. Danke NDR - Ich werde zu den privaten wechseln.

Alsterdorf am Kilometer 28 kommt die Erkenntnis während meines 15. Muskelkrampfes: das wird nix. Ich laufe trotzdem weiter. Der Höhepunkt an diesem Tag war dann der Streckenposten, der mir bei Kilometer 29 einen Platz im Bus anbot. Danke Streckenposten! Auch das eine psychologische Großtat. Ich gebe auf !

Für mich steht fest, dass ich mit diesem Wahnsinn aufhöre. Ich bin bis Kilometer 31 gekommen. Dort steht noch einmal meine Familie und die Freunde. Ich muß mir auch hier noch ein paar Sprüche anhören:
  • Lauf doch weiter.
  • Sind nur noch 11 Kilometer.
  • Daniel wartet dahinten 

Und was soll ich sagen: ich bin noch einmal losgelaufen. Vielleicht hätte ich es tatsächlich geschafft. Wer weiß? Tatsache ist, dass eine Peterwagenbesatzung mich nicht gerade freundlich darauf hinweist, dass ich außerhalb der Maximalzeit laufe und entweder gäben wir jetzt Gas oder wir müssten eben auf den Bürgersteig. Danke, Ihr Freunde und Helfer!

Ich schlepp mich in die U-Bahn und lass mich nach Hause rütteln. Hätten mich die Polizisten nicht derart madig gemacht - ich wäre weitergelaufen. Aber Regeln sind halt Regeln.

Zu Hause erstmal in die Wanne und immer schön warm nachlaufen lassen. Es gibt nichts besseres nach Niederlagen. Auf den Anruf von Minna hätte ich dann doch verzichten können. Sie macht mir wenig aufmunternde Vorhaltungen. Noch während des Telefonats, in der Wanne liegend, völlig erschöpft, beschließe ich, Minna die Freundschaft aufzukündigen. Ich habe bis heute keinen Kontakt mehr zu ihr, auch wenn ich mich manchmal frage, ob das wirklich angemessen war. Ich bin halt ein Radikalinski...

Sie werden sich vielleicht fragen, wo mein Trainer war? Nun, ein echtes Highlight der Kerl und an dieser Stelle bedanke ich mich ganz herzlich für seinen Einsatz und seine Anteilnahme. Er war da! Nachdem er den Marathon in 3:39 durch hatte, macht mein Lieblingstrainer eine Halse und erwartet mich bei Kilometer 32. Von dort aus wollte er mit mir die letzten 10 Kilometer bis ins Ziel laufen. Ist er nicht süß ?

Das Schlimmste an einer Niederlage sind immer die folgenden 14 Tage, in denen ich mich regelmäßig frage, ob die Entscheidungen richtig waren - wieder so ein Frauending. Wenn mein Mann mal etwas entschieden hat (z.B. den Müll jetzt nicht raus zu bringen) bleibt er konsequent dabei und hinterfragt nicht, wie andere sich dabei fühlen. Die müssen dann eben da durch.

Seit diesem Wettkampf mache ich Mentaltraining. Darüber erzähle ich demnächst mehr - ich sage nur Hokuspokus.

Und was war mit Thomas? Er ist die letzten 11 Kilometer mit Hackengas gelaufen und mit 5:57 ins Ziel. Glückwunsch! Ich freu' mich für dich - Ziel erreicht.
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