Freitag, 14. Januar 2011

Hamburg Halbmarathon

Zicken-Terror - zum erste Mal ist mein Lieblingstrainer richtig stinkig mit mir. Natürlich hat er irgendwo Recht, aber es ging mir so schlecht, ich konnte quasi nicht anders.

Es ist Sonntag, der 27.06.2010. Bestes Wetter. Halb Hamburg ist auf den Harleys unterwegs, nur meine Maschine rostet im Keller vor sich hin und ich renne mir die Seele aus dem Leib. Was für ein Wahnsinn.

Treffpunkt: Rothenbaumchaussee mit Daniel und seinem Freund Rüdiger. Gemeinsam geht es in den letzten Bus Richtung Start an der Reeperbahn. Ich soll mich einlaufen, ziehe es aber vor, nochmal aufs Plastik-Klo zu verschwinden. Vor Wettkämpfen könnte ich alle 5 Minuten zum Klo. Ätzend.

Daniel und Rüdiger laufen vorne weg. Sie versprechen mir wieder entgegen zu kommen, sobald sie im Ziel eingelaufen sind - ist das Zuspruch oder eine Drohung? Heute weiß ich wirklich nicht so recht.

Ich laufe hinten entspannt los (.. was für eine Formulierung). Genau, wie der Trainer es befahl. Es ist heiß und die Strecke schwierig. Landungsbrücken müssen wir bergauf - zurück zur Reeperbahn. Bereits bei Kilometer 4 werde ich von einer Gruppe tief fliegender Kenianer überholt, verfolgt von mehreren Kamerateams und einer Horde Löwen warscheinlich. Wir werden ermahnt, Platz zu machen. Ich schimpfe leise vor mich hin…

Die zweite Runde klappt ganz gut und ich bin nicht die Letzte. Meine Eltern stehen mit einem riesengroßen Plakat an der Straße: Evelyn, Du schaffst das. Die beiden sind unschlagbar. Ich liebe sie.

Hinter den Landungsbrücken kühle ich mich im Wallringtunnel etwas ab. Es stellen sich neckische Schmerzen in der Achillessehne rechts ein. Versuche zu dehnen. Da überholt mich so eine Lusche und näselt mich besserwissend dümmlich an: '..zum Dehnen is' noch büschen zu früh' - was für ein Arsch.

Auf der Lombardsbrücke bin ich schon ziemlich weit abgeschlagen, die Vorletzte, spricht mich ein Streckenposten an: Ich laufe außerhalb der Zielzeit. 'Entweder gebe ich Gas oder ich höre auf.' Das geht natürlich gar nicht. Mein Trainer wird mir die Hölle heiß machen. Ich muss irgendwie ins Ziel. Kann man Abkürzen? Wahrscheinlich nicht. Außerdem ist das unsportlich. Es bleibt mir also nichts anderes übrig: Ich muss schneller laufen.

In der glühenden Sonne laufe ich immer an der Alster lang und gebe Hackengas. Ich nehme kaum wahr, wie ich meine Mitläufer überhole - einen nach den anderen. Ich denke etwa folgendes:
  • ich kann nicht mehr, 
  • ich schaff das nicht, 
  • wozu das alles, 
  • ich hör auf damit, 
  • ich arme dicke alte Frau…

In der Sierichstraße, ca. 5 Kilometer vor dem Ziel sehe ich in weiter Entfernung zwei völlig entspannte Jünglinge mit modischen Sonnenbrillen und ausgezogenem Laufshirt über der Schulter auf mich zukommen. Sie beklatschen die Läufer vor mir und feuern sie an. Finden die das witzig? Ich bin total genervt. Was glauben die eigentlich? Das ist hier doch kein Spaziergang, verdammt noch mal - wer sich bei sowas freut und diesen Exkurs auch noch wieder zurückläuft, muss pervers sein - und tatsächlich, es sind mein Trainer und sein Freund. Ist das peinlich…

Auf ihre Begrüßung kann ich erstmal nichts erwidern. Ich bin fix und fertig, total genervt, gebe Daniel die Schuld an meinem Leid, habe Angst, dass der jetzt mit mir die letzten Kilometer auch noch abreißen will, weil ich weiß, dann muss ich noch schneller laufen. Ich kann aber nicht mehr, verdammt !

Dann die sozialkompetente Höchleistung meines Trainers: „Willst Du alleine weiterlaufen?“ Halluziniere ich? Ich bin begeistert. Er hat es begriffen. Ich antworte kurz angebunden: 'Ich laufe allein weiter.' Ich bin erleichtert. Ich muss kein Gas mehr geben, nur Tempo halten.

An der nächsten Kreuzung stehen meine Eltern. Sie halten wieder dieses Riesen-Plakat hoch. Die Samba-Band fühlt sich dadurch animiert und spielt wie der Teufel heiße Rhythmen. Das ist gut - Mann, ist das gut! Meine Mutter nötigt mir eins dieser ekelhaften Bullengetränke auf. Ich nehme es dankbar an. Unglaublicher Durst. Irgendwie gibt es auf diesem Lauf zu wenig Wasser und auf jeden Fall ist es zu heiß.

Auf der Rothenbaumchaussee geht es in die Zielgerade. Ich sehe die Uhr und gebe doch noch einmal Gas. Ich muss bei 2xx ins Ziel laufen. Bloß keine 3 vor dem Komma. Und es klappt. Ich bin nicht die letzte und laufe mit 2:58 ins Ziel. Ob ich mich freue? Nein! Mein Trainer ist nicht da! Ich ahne, dass er mir die Ablehnung seiner Hilfe übel genommen hat.

Am Ziel der gleiche Scheiß wie immer. Medaillenstand ist schon abgebaut. Zumindest ist niemand da, der einem die Medaille umhängt. Getränke sind an den Ständen nicht nachgefüllt. Ist ja klar. Man ist ja auch mit voller Aufmerksamkeit bei der Siegerehrung. Körperlich am Ende und persönlich enttäuscht verlasse ich den Bereich des Bösen, setze mich ins Auto und drücke die Homing-Taste. Der Wagen findet seinen Weg von allein. Jetzt erst einmal in die Wanne. Es geht mir physisch und psychisch richtig schlecht.

Den ganzen Nachmittag und Abend warte ich auf den Anruf meines Trainers. Gehorsam hatte ich ihm meine Laufzeiten per SMS durchgegeben – aber es herrscht Funkstille. Mehrmals prüfe ich, ob das Handy auch funktioniert. Ich bin traurig und habe ein schlechtes Gewissen (wieder dieses Mädchentrauma).

Mein Lieblingstrainer ist beleidigt! Macht ein auf Mädchen! Er will so nicht behandelt werden! Hallo? Trainer? Wo ist deine Empathie? Was ist mit Sozialkompetenz? Es geht nicht primär um Dich, Daniel! Ich habe die meisten Schmerzen - hier geht’s um mich! Das bischen Gezicke wird ein Profi doch wohl aushalten können! Mein Mann hält das 365 Tage im Jahr aus und er betet den Boden an, auf dem ich gehe .. naja, fast ..

Als mir Daniel am Telefon offenbart, dass er sich über mich geärgert hat und folgende Forderungen für sein Ego stellt, habe ich erstmal entrüstet aufgelegt - innerhalb der nächsten Minuten aber wieder besonnen und zurückgerufen.

Was für Machtkämpfe laufen hier denn ab? Wie ein altes Ehepaar. Ist der Kerl überfordert?

Wir haben uns natürlich wieder vertragen. Aber nur, weil wir beide nicht nachtragend sind und an uns arbeiten. Danke Trainer!

Und ich werde besser. Nicht nur sportlich. Ich verändere mich ! Bin nahezu grade handzahm - muß ich unbedingt nachher meinem Kerl erzählen...
.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.